Spüren Sie es auch? Wir stecken mittendrin! Im Wandel oder konkreter: in der strukturellen Neuordnung unserer wirtschaftlichen Systeme – beschleunigt durch äußere Einflussfaktoren wie Digitalisierung, Vernetzung und neue Technologien. Zusammengefasst werden die aktuellen Herausforderungen unter dem Change Management Begriff:
VUKA-Welt
VUKA beschreibt eine Welt, die durch ...
- Volatilität (engl.: volatility)
Ausmaß von Schwankungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne, - Unsicherheit (engl.: uncertainity),
- Komplexität (engl. complexity) und
- Ambivalenz (engl.: ambiguity)
... gekennzeichnet ist.
Im Grunde sind ihre Eigenschaften die Konsequenz einer sich immer schneller entwickelnden Wirtschaft. Denn momentan werden Technologien von morgen unvermittelt zu gestrigen. Steigende Vernetzung bewirkt höhere Komplexität und fördert das Chaos.
In einer hochtechnologisierten Welt können wir nicht einmal unsere eigene Rolle vorhersehen. Der Freistädter Gerald Bast, Rektor an der Wiener Universität für angewandte Kunst, erwartet beispielsweise, dass in 20 Jahren bis zu 50 Prozent der heute üblichen Jobs nicht mehr existieren.
Unsicherheit ist damit vorprogrammiert. Klar ist ebenfalls, dass in dieser Atmosphäre Planung versagen muss, da schematische Prozesslösungen und tradierte Routinen schlichtweg unwirksam werden. Vielmehr wird in Zukunft maximale Reaktions- sowie Anpassungsfähigkeit gefragt sein. Als Erfolgsversprechen gelten deshalb individuelle, besonders agile Organisationsformen.
Den „richtigen“ Weg in diese Zukunft kennen wir nicht. Etwas Orientierung bietet die Achtsamkeitsexpertin Christina Pichler. Wir haben mit der Start-Up-Mitbegründerin über die zukünftigen Herausforderungen im Personalmanagement gesprochen.
Frau Pichler, die Gegenwart ist laut und hektisch. Ist Ihr zentrales Thema, die Achtsamkeit, nicht eher eine Antithese zum aktuellen Wirtschafts- und Arbeitsleben?
Christina Pichler: Ganz im Gegenteil. Eine achtsame Haltung wird zunehmend zur Erfolgsstrategie – auch im wirtschaftlichen Sinne. Je unsicherer und unvorhersehbarer die Welt im Außen wird, desto mehr Stabilität müssen wir in uns selbst, in unserem Inneren, suchen. Nur so können wir Verantwortung übernehmen und „mit Sicherheit“ Entscheidungen treffen.
Wir Menschen sind allerdings im Außen verhaftet. Alles rundherum dreht sich, wird schneller, intensiver und überladener – und wir drehen uns mit. Entspannte Momente sind deshalb sozusagen das mentale Tor zu neuer Stabilität.
Je komplexer die Welt
draußen wird, desto fokussierter
müssen wir agieren.
Und der Schlüssel zu diesem „Tor“ ist die Achtsamkeit?
Christina Pichler: Genau. Achtsamkeit ist der erste Schritt und meint, in die Beobachterrolle zu schlüpfen, also wahrzunehmen, was im Jetzt ist – ohne Urteil oder Bewertung dessen. Yoga beispielsweise lehrt, die Aufmerksamkeit zu lenken. Im Prinzip versucht man über einfache Körper-, Atem- oder Entspannungsübungen in einen Zustand der Ruhe zu gelangen, der das Hin- bzw. Hineinschauen ermöglicht.
Was bewirkt diese Ruhe?
Christina Pichler: In diesem Moment beginne ich, mich selbst zu befragen – eine reflexive Phase als Basis für persönliche Entwicklung. In der Achtsamkeit lerne ich Dinge über mich und meine Verhaftung in der Welt. Quasi ein Lernprozess für emotionale Intelligenz, die wiederum Stressresistenzen ausbildet und innovatives, kreatives Denken fördert. Skills, die in der modernen Arbeitswelt essentiell sind.
Reflexion:
2 Minuten täglich
führen nachweislich zu
besseren Leistungen.
Reflexion wird auch von der Wissenschaft als leistungsfördernd bestätigt. Die Neurobiologie erklärt es – natürlich kurz und einfach ausgedrückt – so: Das menschliche Gehirn schwingt in unterschiedlichen Frequenzen. Zwischen Delta- (Schlaf) und Theta-Wellen (Halbschlaf) wird das „Erfahrene“ verarbeitet, wodurch sich Potentiale entfalten und kreative Ideen bzw. Visionen entstehen. Denken Sie beispielsweise an den berühmten Power-Nap, der wie eine Frischzellenkur wirkt.
Und jeder kennt dieses Phänomen: Die besten Ideen überfallen uns mehr oder weniger. Erst wenn der Geist in Ruhe ist, durch entspannte Handlungen ins Unbewusste entführt wird, erst dann trifft uns der allen bekannte Geistesblitz.
Im Buch „search inside yourself“ spricht TED-Speaker Chade-Meng Tan sogar von bloß zwei Minuten täglich, die nachweislich unsere Leistung erhöhen und sogar unser Blutbild verbessern. Dazu zählen selbst Dinge wie Tagebuch schreiben oder kurze Momente in Entspannung. Es könnte so einfach sein.
Wenn es so einfach ist, warum scheitern Unternehmen dann an der „Implementierung“ von Achtsamkeitsstrategien?
Christina Pichler: Nun ja, der „Need“ von Unternehmensseiten steigt schon merkbar. Wir beobachten auch viele Betriebe, die versuchen, Persönlichkeit und damit das Team insgesamt zu fördern. Häufig bleiben es aber Aktionshüllen, beispielsweise über das betriebliche Gesundheitswesen – etwa gratis Yoga-Kurse.
Das sind schon gute Ansätze, die aber nicht 100-prozentig zünden, so lange achtsame Verhaltensweisen im persönlichen Umfeld angeleitet, aber nicht in die täglichen Arbeitsabläufe integriert werden. Es ist jedoch wesentlich, diese Haltung in allen Phasen der Zusammenarbeit auch wirklich zu leben.
Die persönliche Entwicklung
des einzelnen fördern, um die Schlagkraft
des Teams insgesamt zu stärken.
Mitarbeiter orientieren sich nicht an Phrasen der verschriftlichten Unternehmensphilosophie. Sinnstiftend ist nur ein gelebter Verhaltenskodex. Erst durch das Verhalten entsteht bei Mitarbeitern das Gefühl von echter Wertschätzung. Sehr viele vermissen diese Anerkennung, wodurch die Leistungsbereitschaft grundlegend sinkt. Allgemein bleibt in diesem Bereich großes Potential ungenutzt.
Man kann Wertschätzung eben nicht verordnen. Man muss sie – aus sich selbst – entwickeln, sie pflegen und leben. Der erste Schritt dazu ist die persönliche Reflexion in der Achtsamkeit.
Welche Entwicklungschancen sehen Sie insgesamt?
Christina Pichler: Der Individualisierungstrend besteht ja bereits seit längerem. Mit zunehmendem Innovationsdruck müssen auch Unternehmen sich immer schneller diversifizieren. Diversität bedeutet Vielfalt. Demnach wäre es nur logisch, individuelle Potentiale innerhalb der bestehenden Organisation zu nutzen und zu fördern.
Dieses Umdenken wird auch die Zusammenarbeit verändern: Arbeitskulturen werden flexibler, unangepasster und agiler, Hierarchien dadurch flacher. Zukünftige Organisationsstrukturen werden selbstbestimmtes, selbstverantwortliches Arbeiten erfordern. Das müssen Führungskräfte ermöglichen und Mitarbeiter leisten können. Dafür muss zuvor jeder wissen, was in ihm steckt – also bereits achtsam „auf sich selbst geschaut haben“.
Anschaulich wird die Entwicklung auch bei Jugendlichen: Sie sind bereits in dieser VUKA-Welt aufgewachsen und wünschen sich höhere Flexibilität (z. B. bzgl. Arbeitszeit), freundschaftliches und selbstbestimmtes Arbeiten. Sie sehen – wenn auch unbewusst – dass aktuelle Unternehmensstrukturen einfach nicht mehr zu ihrer digitalen Lebensweise passen.
Ein Unternehmen, das dementsprechende Arbeitsrealitäten anbietet, wird auch die zukünftigen Fachkräfte für sich gewinnen können.
Wie können Personalverantwortliche beginnen, mit Achtsamkeitsmethoden zu arbeiten?
Christina Pichler: (Christina lächelt. Wohl weil sie diese Botschaft häufig wiederholt.) Bei sich selbst! Werden Sie zum Beobachter Ihres Selbst. Setzen Sie Impulse innerhalb der täglichen Arbeitsroutine und pflegen Sie den achtsamen, wertschätzenden Umgang nachhaltig! Diese Kraft macht Potentiale sichtbar.
Nach ihrem Sozialwirtschaftsstudium in Linz übernahm
Christina Pichler die Marketingleitung am Biohof Achleitner.
Parallel dazu absolvierte sie eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin,
bevor sie 2016 mit vier Partnern das Start-Up Innoviduum gründete.
Das gemeinsames Ziel: Menschen und Organisationen
zu befähigen, ihr volles Potential zu verwirklichen.