Die Disruption* geht um: Das Widersprüchliche scheint zu ganz „normalen“ Erscheinungen unseres Arbeitsalltags zu werden. „Unsterbliche Größen“ wie Kodak, Nokia und auch andere Big Player hat diese Disruption schon erwischt. Und die kleinen Start-ups mit ihren „unrealistischen“ Visionen und ihren viel zu kleinen Entwicklungsbudgets haben erst recht keine Zukunftsgarantie.
Aber wer wird der Nächste sein, der samt seiner Wurzeln ausgerissen werden wird? Wird es mich treffen? Und wird es für mich überhaupt noch ein Arbeitsleben geben nach all diesen Umwälzungen?
Disruption ist ein Wandel, der sich nicht „auf das Digitale allein“ beschränkt. Die digitalen Technologien schaffen lediglich die Bedingungen für völlig Neues. Aber um diese Möglichkeiten aber in der Folge wahrnehmen und nützen zu können, werden wir menschliche Kreativität, Schöpferkraft, Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz in einem bisher nicht gekannten Ausmaß brauchen. Aber woher nehmen?
Disruptionen sind „Offroad-Strecken“. Und wenn wir uns auf ihnen einigermaßen sicher und zielorientiert bewegen wollen, brauchen wir eine gute physische und mentale Vorbereitung, sichere Verbindungen und vertrauensvolle Kommunikation. Denn nur so kann entstehen, was David Kelly „Creative Confidence“ (schöpferische Zuversicht) nennt.
Human Resilience gibt es leider nicht auf Rezept
Eine gute technische Ausrüstung ist für den künftigen Unternehmenserfolg wichtig, keine Frage. Aber das Entscheidende ereignet sich in den Köpfen der Menschen: ein Mix aus Einstellungen und Vorstellungen und ein ganzes Arsenal an „Kartenmaterial“ und Überlebenspäckchen in Form neuer Tools und Denkkategorien. Ein neues Mindset namens Resilienz muss zur Standardausrüstung gehören …
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“
[Václav Havel]
Die Psychologie nennt die Fähigkeit, trotz widriger Bedingungen zu gedeihen, Resilienz. Sie soll dazu beitragen, dass eine Krise oder ein umfassender Wandel kompetent verarbeitet werden kann. Am Ende soll ein positives Ergebnis im Sinne einer neuen Orientierung oder ein Zugewinn an Fähigkeiten und Zufriedenheit erzielt werden. Resiliente Menschen verfügen über eine besonders starke physische und mentale Widerstandskraft.
[Ulrich Siegrist, M. Luitjens: Resilienz. Offenbach: GABAL Verlag 2012]
Aber wie können Chefs, HR und die Führungskräfte überhaupt dazu beitragen, dass die Mitarbeiter/-innen (und sie selbst) Spannungsfelder leichter durchstehen und mit Nicht-Wissen, neuen Routinen und widersprüchlichen Herausforderungen besser umzugehen lernen? Führungskräfte und HR-Leute im Besonderen sind die Hüter und die Promotoren der Human Resilience in den Betrieben.
Human Resilience kann man fördern. Diese Stärkung muss (auch im eigenen Interesse) von den Unternehmen und ihren Führungskräften kommen
- Resilienzförderung beginnt bei guter, ehrlicher und intensiver Kommunikation und mit dem Auswerten und dem permanenten Bewusstmachen positiver Erfahrungen und jener Haltungen, Fähigkeiten und Ressourcen, die sie ermöglicht haben.
- Leben wir damit, dass das Alte nicht mehr so gut und das Neue noch nicht richtig funktioniert. Wir leben in einem Übergang – inmitten einer Transition. Das ist die Realität.
- Fördern Sie das Wahrnehmen stabilisierender Faktoren.
- Stellen Sie die Unternehmenskultur (behutsam, aber konsequent) von einer „festgefügten Struktur der Gewissheiten“ auf eine des Suchens und Fragens um.
- Animieren Sie dazu, Nicht-Wissen zuzugeben; sorgen Sie aber gleichzeitig dafür, dass dieses Nicht-Wissen nicht als Makel, sondern als Antrieb zum Experimentieren erlebt wird.
- Betrachten Sie Unerwartetes, Schräges und Widersprüchliches nicht reflexartig als „Fehlentwicklung“, die es abzuwehren gilt. Sehen Sie es als kreativen Anstoß. Suchen Sie nicht nach „Schuldigen“, sondern gehen Sie den möglichen Ursachen gemeinsam nach.
- Nehmen Sie auch das Unwahrscheinliche vorweg und machen Sie es immer wieder zum Thema.
- Man muss (ohne schlechtes Gewissen und Prestigeverlust) scheitern dürfen.
- Versetzen Sie sich in Kunden und potenzielle Gegner hinein und „erforschen“ Sie ihre möglichen Antriebe und Motivationen.
- Lösungen, die Sie im Team entwickeln, sollten immer wenigstens fünf der folgenden acht Kriterien erfüllen: Effizienz, Transparenz, Substanz, Schnelligkeit, Vernetzung, spielerische Leichtigkeit, Schönheit und Einfachheit.
- Schaffen Sie Rahmenbedingungen für die Entfaltung der „Supermacht des 21. Jahrhunderts“ (Eric Barker) … für das Ermöglichen von Deep Work.
Deep Work: Das sind berufliche Aktivitäten, die in einem Zustand ablenkungsfreier Konzentration ausgeübt werden und die die geistigen Kapazitäten Ihrer Mitarbeiter/-innen an ihre Grenzen bringen. Diese Leistung schafft neuen Wert, verbessert die Fähigkeiten und ist schwer zu kopieren.
[Nach Cal Newport: Konzentriert arbeiten, Redline Verlag, München 2017]
Über dieses Deep Work und die damit verbundene Stärkung der Human Resilience lesen Sie in meinem nächsten Beitrag.
* Sehr lesenswert und auch als Quelle verwendet:
Bernhard von Mutius: Disruptive Thinking. Offenbach: GABAL Verlag 2017