Sie halten sich meistens im Hintergrund – und sind doch der Schlüsselfaktor für unseren Lesegenuss: literarische Übersetzerinnen und Übersetzer. Wir wollten wissen, wie der Arbeitsalltag von Personen aussieht, die sich mit Kompetenz und Leidenschaft einem fremden Werk widmen und dabei gleichzeitig etwas Eigenes erschaffen. Die diplomierte Übersetzerin Mascha Dabić gibt uns Einblicke in ihre Arbeit und verrät, was für sie dabei im Vordergrund steht.
Dein Werk – mein Werk: literarisches Übersetzen verbindet
Als Übersetzerin befassen Sie sich intensiv mit Texten, die jemand anderer verfasst hat. Wie geht man an diesen Transformationsprozess heran, und wie viel „Herzblut“ fließt mit ein?
M.D.: Das kommt auf den Text an, und auch auf die momentane Verfassung: Manchmal ist auch das literarische Übersetzen „business as usual“ (wenn es sich um eine große Textmenge handelt und ich zeitlich unter Druck arbeite), und manchmal ist es ein echtes Herzensanliegen, nicht nur die Ausdrucksweise des Autors/der Autorin so gut wie möglich einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen, sondern auch die eigene Begeisterung als Leserin zu vermitteln.
Auf jeden Fall ist dieser „Transformationsprozess“ immer eine Herausforderung, und jeder Text ist neu und erfordert Aufmerksamkeit, Konzentration, Einfühlungsvermögen und auch „handwerkliches Arbeiten“, also Genauigkeit, Präzision etc. Selbstverständlich gilt das alles auch für nichtliterarische Texte – aber bei literarischen Texten geht es auch darum, auch beim Zielpublikum einen „Lesegenuss“ zu ermöglichen.
Identifiziert man sich mit dem Verfasser/der Verfasserin und versucht, durch gezieltes „Hineindenken“ in die Perspektive, einen Zugang zu finden?
M.D.: Nicht unbedingt. Ich versuche einfach, den Text zu durchdringen, also alle Bedeutungsebenen, die ich beim Lesen ausfindig machen kann, zu berücksichtigen. Der Verfasser/in des Textes ist nicht unbedingt in meinen Gedanken, während ich arbeite, allerdings hilft es sehr, den Autor/die Autorin persönlich zu kennen und die Möglichkeit zu haben, ihn/sie anzusprechen, wenn etwas nicht klar ist.
Wie viel Gestaltungsfreiheit hat man – wo endet das Hoheitsgebiet der Autor/innen, und wo kann man sich persönlich einbringen, sich beispielsweise bei mehreren Möglichkeiten für die zu entscheiden, die man persönlich bevorzugt?
M.D.: Schwer zu sagen; ich bemühe mich grundsätzlich darum, den Text in etwa so zu reproduzieren, wie ihn der Autor/die Autorin beabsichtigt hat; das heißt, ich bemühe mich, der Versuchung zu widerstehen, den Text allzu sehr „zu verschönern“, denn oft ist es eine bewusste Entscheidung des Autors, einen sehr schlichten und unverschnörkelten Stil einzusetzen. Allerdings kommt es sicher vor, dass ein Text durch die Übersetzung „veredelt“ wird oder in einer anderen Sprache klarer, besser klingt.
Aus der Literaturwissenschaft kennen wir den Begriff des impliziten Autors – lässt sich dieser Begriff aus Ihrer Sicht auch auf den Übersetzer/die Übersetzerin übertragen?
M.D.: Bis zu einem gewissen Grad hat jede/r Übersetzer/in ihren eigenen Stil. Dennoch, eine gute Übersetzung zeichnet sich nicht so sehr durch den Stil der Übersetzerin/des Übersetzers aus, sondern durch die Fähigkeit, dem Stil des Originals gerecht zu werden. Insofern brilliert der/die Übersetzer/in paradoxerweise gerade durch die „Unsichtbarkeit“, oder besser gesagt, durch die Fähigkeit, wie ein Chamäleon unterschiedliche Register zu bedienen und flexibel zu sein.
Auch wenn vermutlich keine Verallgemeinerungen möglich sind: Wie gestaltet sich der Arbeitsalltag im Bereich der literarischen Übersetzung: Arbeitet man – wenn möglich – mit den Verfassern oder Kolleginnen und Kollegen zusammen oder herrscht die traute Zweisamkeit – der Text und ich – vor?
M.D.: Wenn es möglich ist, kontaktiere ich den Autor des Textes. Das hilft. Meistens sind Autor/innen sehr kooperativ und interessieren sich für den Übersetzungsprozess. Ich kontaktiere die Autor/innen allerdings eher sparsam, immer nur dann, wenn ich wirklich nicht weiter weiß und wenn ich mit meinen eigenen Recherchen nicht mehr vorankomme.
Ich ertappe mich oft dabei, nicht „lästig“ sein zu wollen, aber das ist eigentlich die falsche Herangehensweise: Man sollte Autor/innen wirklich so oft wie möglich kontaktieren, es ist sehr sinnvoll; ich bin aber manchmal „zu faul“ dazu, oder auch „zu schüchtern“.
Man sollte mit Kolleg/innen so viel wie möglich zusammenarbeiten, um die soziale Isolation, die literarisches Übersetzen mit sich bringen kann, zu vermeiden oder zu vermindern; allerdings vergesse ich selbst ganz oft darauf und rutsche hinein in eine Ich-allein-und-der-Text-Zweisamkeit – es passiert einfach, ich gerate unter Zeitdruck und habe dann gar keine Zeit mehr, mich mit Kolleg/innen auszutauschen. Das ist wirklich schade.
Das heißt, ich würde es zusammenfassend so sagen: Die Isolation ist mir beim literarischen Übersetzen sehr gut bekannt, aber ich halte sie für einen Fehler und nicht für einen „naturgegebenen Zustand“: Wenn man sich ein bisschen organisiert, kann man wunderbare Tandems oder Gruppen bilden – aber dafür muss man sich dann halt die Zeit nehmen. Immer, wenn ich bei Übersetzerseminaren bin, genieße ich die Zusammenarbeit mit Kolleg/innen und denke mir, ja, ich sollte viel mehr in Tandems oder in Gruppen arbeiten – aber dann komme ich zurück an den Schreibtisch, habe wieder viel zu viel Arbeit, und bin froh, wenn ich die Deadlines irgendwie schaffe.
Aber meine Empfehlung ist definitiv, den Austausch mit Kolleg/innen zu suchen, Seminare zu besuchen, gemeinsam zu redigieren, etc etc., und die klassische Schreibtischisolation so gut wie möglich zu minimieren... vier Augen sehen wirklich mehr als zwei, und man profitiert sehr von den Anregung anderer Menschen.
Bevorzugen Sie eher die Übersetzung von Büchern und Texten, die auch Ihrem individuellen Geschmack entsprechen, und die Sie sich auch privat kaufen würden – oder spielen diese Kriterien gar keine Rolle in Ihrer Professionalität?
M.D.: Doch, es ist in der Regel leichter, sich für die Arbeit an einem Text zu motivieren, der einem selbst auch gut gefällt und bei dem man den Wunsch spürt, ihn einer anderen Leserschaft näherzubringen.
Zur Person:
Mascha Dabić, geboren 1981 in Sarajevo, absolvierte das Studium der Translationswissenschaft (Englisch und Russisch). Lebt in Wien. Schreibt für daStandard.at, übersetzt Literatur aus dem Balkanraum (Publikationen bei Suhrkamp, Knaus, Dittrich, Drava etc.), arbeitet als Konferenzdolmetscherin und lehrt an den Universitäten Wien und Innsbruck.